Topografie des Menschen


Wenn wir in unserem Zusammenhang von der Topografie des Menschen sprechen, dann meinen wir damit nicht seinen anatomischen Aufbau, sondern seine Zusammensetzung und sein Eingebundensein in seine innere und äußere Umgebung, wie es sich  vom spirituellen Standpunkt aus betrachtet darstellt.

In erster Linie ist der Mensch ein biologischer Automat. Und wenn wir diesen Bio-Automaten verstehen wollen, müssen wir zuerst feststellen, aus was er besteht, aus welchen Bestandteilen er zusammengesetzt ist. Wir müssen ihn sozusagen in seine einzelnen Bestandteile zerlegen, um sie am Ende wieder zu einer Ganzheit zusammenzufügen.

Aus spiritueller Sicht zählen neben seinem physischen Körper mit seinen Organsystemen, seinem Gehirn und seinem Nervensystem auch noch seine Umgebung, seine emotionalen und intellektuellen Gegebenheiten sowie sein Bewusstsein zu seinem Bestand:

Der Mensch besteht also aus einem mit ineinandergreifenden Organsystemen ausgestatteten physischen Körper, der in eine Umgebung eingebettet ist. Seine Umgebung stellt sozusagen eine Erweiterung seines physischen Körpers dar. Dass er seinen physischen Körper als von seiner Umgebung abgetrennt erfährt, liegt  an seiner Wahrnehmung, die durch seine Sinne und seinem begrenzten Bewusstsein beschränkt wird. In tiefer Meditation ist es nämlich durchaus möglich, die gesamte physische Existenz als einen einzigen Körper wahrzunehmen, in welchem unser physischer Körper wie etwa eine einzelne Zelle in unseren eigenen Körper eingebettet ist. 

Außerdem zählen in spiritueller Hinsicht genetische und typologische Dispositionen sowie seine psychischen, emotionalen und intellektuellen Gegebenheiten ebenfalls zu seiner Umgebung, weil er als Bewusstsein in diese hineingeboren wird.

Die an seinen physischen Körper und an sein Nervensystem gekoppelten Sinne sind die Tore, durch die Reize und Eindrücke aus seiner Umgebung in ihn eintreten.

In seinem Nervensystem und in seinem Denken werden die eintretenden Reize und Sinneseindrücke verarbeitet, beurteilt und zugeordnet.

Auf die eingetretenen Reize und Eindrücke lassen ihn d​ann seine Emotionen positiv oder negativ reagieren.

Desweiteren besteht der Mensch aus einem Lebenswillen, der sich in den Trieben der Selbst- und Arterhaltung äußert.

Und nicht zuletzt besteht der Mensch auch aus Bewusstsein, seinem innersten Wesenskern. Sein Bewusstsein stellt das Erlebende und Erleidende in ihm dar, oder seine „Seele“. Das Bewusstsein ist in unserem Zusammenhang der wichtigste Bestandteil eines Menschen. Denn mit dem Grad seines Bewusstseins steht oder fällt der Mensch.

Zusammenfassend können wir sagen: Der Bio-Automat Mensch besteht aus einer physischen Umgebung, einem Bewegungsapparat, einem Sinnesapparat, einem Denk- und Fühlapparat – welcher seiner  psychischen Umgebung entspricht –, einem Lebenswillen und einem Bewusstsein.

Abb. 1: Die Schichten des Menschen und die noch leeren Zentren des Denkens und Fühlens.

 

Während der Lebenswillen in Richtung Umgebung nach außen g​erichtet ist, sind die Umgebungseinfüsse nach innen in Richtung Bewusstsein gerichtet.


Abb. 2:  Interaktion zwischen Umgebungseinflüssen und Lebenswillen.

 

Durch die Interaktionen zwischen den nach innen fließenden Umgebungseinflüssen und dem nach außen fließenden Lebenswillen bilden sich in den vorerst leeren Zentren des Denkens und Fühlens unterschiedliche Muster und Rollen, die sich untereinander verbinden. Diese Verbindungen entsprechen den neuronalen Netzen in unserem Gehirn.

Abb. 3: Durch Interaktion gebildete Muster in den Zentren des Denkens und Fühlens. Die kleinen Quadrate innerhalb der Muster stellen gebundene Bewusstseinsanteile dar, die einzelne Muster und Rollen autonom agieren lassen können.

 

Die Bildung der Muster des Denkens und Fühlens geschieht anfänglich vollkommen mechanisch und ohne unser persönliches Zutun. Diese mechanisch gebildeten Muster binden ursprünglich freies, ungeformtes Bewusstsein und geben ihm Form. Sie bestimmen unser Denken, unser Fühlen, unser Erleben, unsere Reaktionen auf bestimmte Dinge, unsere Meinungen und unser Rollenverhalten, welche allesamt ebenfalls mechanisch ablaufen – auch wenn wir das anders empfinden mögen und diese Dinge als absichtliche Handlungen bezeichnen.

In ihrer Gesamtheit machen diese gebildeten Muster und Rollen die Persönlichkeit und die "Identität“ eines Menschen aus, wobei seine "Identität" durch die Identifikation des Bewusstseins mit den gebildeten Mustern und Rollen entsteht. Das ursprünglich ungeformte Bewusstsein hat Form angenommen und ist zu einem autonomen Anpassungsautomaten, den wir Persönlichkeit nennen, geworden .

 

Abb. 4: Persönlichkeit als autonome Funktionseinheit

 

Das ursprünglich ungeformte Bewusstsein kann sich mit den in der Persönlichkeit angelegten Muster und Rollen identifizieren. Und ist erst mal die Identifikation mit einem Muster oder einer Rolle vollzogen, nennt der Mensch dieses Muster oder diese Rolle „Ich“. Dann beginnt er zu wähnen, wer oder was er ist: „Ich bin Frau / Herr soundso“, „gut“, „schlecht“, „schön“, „hässlich“, „dieses oder jenes“, usw. Auf diese Weise entsteht gewissermaßen ein Wahn vom „Ich“, der den Menschen von seinem ursprünglich formlosen Bewusstsein und letztendlich auch von seinem Ursprung oder Urgrund abspaltet. Dadurch wird der Mensch zum unwahren Menschen, denn er hat den Kontakt zu seiner wahren Natur verloren.

Und hier kommen wahre Religiosität und wahre Spiritualität, die den Menschen die Rückverbindung zu seinem Urgrund oder zu seinem wahren Sein ermöglichen sollen, ins Spiel. Um wieder ein wahrer Mensch zu werden, muss er seine mechanische Psyche, seine Persönlichkeit und seinen Wahn vom „Ich“ überwinden. Diese Selbstüberwindung besteht dann darin, seinen Schwerpunkt von der Persönlichkeit ins ungeformte Bewusstsein zu verlagern, was er durch regelmäßige Kontemplation und Meditation nach und nach erreichen kann. Sobald sich sein Schwerpunkt im ungeformten Bewusstsein befindet ist er wieder zu einem wahren Menschen geworden, was sich schematisch folgendermaßen darstellt:


Abb. 5: Ganz gewordener Mensch.


Mit der Verschiebung des Schwerpunktes ins formlose Bewusstsein haben sich die Identifikationen mit den einzelnen Mustern und Rollen der Persönlichkeit aufgelöst. Körper und Persönlichkeit sind durchlässig geworden (im Schema als gestrichelte Linie dargestellt). Der nach außen und nach innen fließende Energiestrom ist ins Gleichgewicht gekommen, wodurch sich ein Energiekreislauf gebildet hat, was als unaufhörliches Strömen empfunden werden kann. Das Bewusstsein ist umfassend geworden. Es befindet sich gleichzeitig innerhalb und außerhalb des Körpers und der Persönlichkeit (im Schema durch den großen Kreis dargestellt). Es durchdringt gleichermaßen Körper und Persönlichkeit und umgibt diese. Das Körperempfinden endet nicht mehr an der Hautoberfläche, sondern die gesamte materielle Umgebung, in die wir eingebettet sind, wird als vom Bewusstsein durchdrungener Körper empfunden. Betrachter und Betrachtetes sind eins geworden.....

Zur Vertiefung dieses Themas siehe Bücher von Veerendra H. Bühner.