Primäres und sekundäres Bewusstsein

 

Auch wenn das Folgende mangels einer besseren Erklärung teilweise rein hypothetisch scheinen mag, so erklären sich daraus doch viele „unerklärliche“ Phänomene wie beispielsweise die Entstehung des Lebens auf unserem Planeten, die Höherentwicklung von Organismen sowie die damit verbundene Entwicklung eines erwachenden Bewusstseins.

Weil in unserem Universum sowohl in den großen als auch in den kleinen Formationen alles mit allem zusammenhängt und zusammenfunktioniert, können wir annehmen, dass alles aus einer primären Einheit hervorgegangen ist und hervorgeht. Wie etwa die Astrophysik annimmt, dass unser Universum durch einen „Urknall“ aus einer Einheit, aus einer Kraft, in der alles Seiende in einer Nulldimension miteinander verschmolzen war, hervorgegangen sein muss.

Weiter können wir annehmen, dass in dieser primären Einheit bereits alle Möglichkeiten der Entfaltung und Organisation des Universums potenziell enthalten waren, wie etwa in einem Samenkorn ein daraus entstehender Baum bereits enthalten ist.

Weil die Dimensionen des Raumes und der Zeit erst mit der Entstehung des Universums in Erscheinung treten und unser Verstand weder in der Lage ist sich den Zustand des Universums vor dem „Urknall“, noch einen raum- und zeitlosen Zustand vorzustellen, müssen wir auf vorstellbare Bilder zurückgreifen, um solche Zustände wenigstens annähernd begreiflich zu machen. Wir können uns also vorstellen, dass unser gesamtes Universum mit all seinen Möglichkeiten und intelligenten Organisationsfähigkeiten in einem raum- und zeitlosen Punkt zusammengefaltet war und sich mit dem „Urknall“ zu entfalten begann.

Desweiteren müssen wir auch annehmen, dass Raum- und Zeitlosigkeit mit Raum und Zeit inkompatibel sind. Das heißt, das Raum- und Zeitlose kann nicht räumlich und zeitlich werden und umgekehrt können Raum und Zeit auch nicht raum- und zeitlos werden. Und das bedeutet auch, dass das Zeitliche zwar aus dem Nichtzeitlichen hervorgeht und auch wieder dorthin verschwindet, während aber das Nichtzeitliche sowohl vor der Entstehung des Zeitlichen als auch während und nach dessen Existenz trotzdem bestehenbleibt. Es ist etwas ständig Anwesendes. Weil es an keinen Raum und an keine Zeit gebunden ist, ist es gleichzeitig immer, überall und nirgends. Es ist der ewige, allgegenwärtige Urgrund.

Und weil in ihm alle Möglichkeiten und Fähigkeiten zur intelligenten Organisation von allem Seienden potenziell vorhanden sind, bezeichnen wir diesen Urgrund, um seinem intelligenten Potenzial gerecht zu werden, hier auch als das primäre Bewusstsein.

Das primäre Bewusstsein entspricht etwa einer unmittelbar beim „Urknall“ entstandenen „Ursuppe“, die noch ohne Form und ohne Ausdehnung war, aber bereits alle Möglichkeiten der Entfaltung bis hin zur Organisation von Sonnensystemen und auf Planeten entstehenden Organismen, welche die Fähigkeit des bewussten Erkennens und Handelns besitzen, in sich enthielt. Mit der gesetzmäßigen Ausdehnung dieser „Ursuppe“ und deren Verdichtung zu einzelnen Formationen entstanden dann Raum und Zeit.

Wir können uns die noch in sich Eine Ursubstanz oder „Ursuppe“ als Energiefeld mit sehr hohen Schwingungsraten vorstellen. Aufgrund des Trägheitsprinzips kommt es dann zu einer Verlangsamung der Schwingungsraten, wodurch kosmischer Staub und aus diesem einzelne voneinander getrennte Verdichtungen wie beispielsweise Sonnen entstehen. Durch weitere Abnahme der Schwingungsraten kommt es zur Verdichtung von immer dichteren, massiveren und trägeren Himmelskörpern wie beispielsweise zu Planeten und Monden.

Durch diesen Prozess des Verdichtens der Ursubstanz in einzelne voneinander getrennte Verdichtungen kommt es zu einer Aufspaltung der ursprünglichen Einheit, und damit auch zur Aufspaltung des ursprünglich einen, primären Bewusstseins, das nun in den einzelnen Verdichtungen eingeschlossen und durch diese begrenzt wird.

Am untersten Ende dieses Verdichtungs- und Aufspaltungsprozesses, wo keine weitere Aufspaltung und Verdichtung mehr möglich ist, kommt es dann durch das noch immer aktive in den Verdichtungen eingeschlossene, jetzt sekundäre Bewusstsein zu einer Umkehr des Verdichtungsprozesses, wie er sich zum Beispiel in der aufsteigenden Entwicklung des Lebens auf unserem Planeten Erde zeigt.

Der Verdichtungsprozess zeigt sich als eine Abwärtsentwicklung vom Feinen zum Groben, und der rückläufige Prozess, durch den das in Körpern eingeschlossene und begrenzte, jetzt sekundäre Bewusstsein zurück zu seinem ursprünglich freien und geeinten Zustand drängt, zeigt sich als eine Aufwärtsentwicklung vom Groben zum Feinen.

Weil das Bewusstsein des Urgrundes formlos, unbegrenzt, frei, ungebunden und geeint ist, nennen wir es das primäre Bewusstsein, und weil das in Formen und Körpern eingeschlossene Bewusstsein beschränkt, unfrei und in getrennte Gegensätze aufgespalten ist, nennen wir es das sekundäre Bewusstsein.

Das sekundäre Bewusstsein durchläuft während seines Rückflusses und seines Erwachens zu seiner primären Einheit verschiedene Seinszustände oder Stufen, die wir in der Aufwärtsentwicklung des Lebens auf unserem Planeten erkennen können:

Wir können zum Beispiel sagen, dass es in der Welt der Steine, der Minerale und der unbelebten Gegenstände schläft, dass es in der Pflanzenwelt zwar immer noch schlafend, beginnt, sich zu recken und zu strecken, um weiter nach oben zu drängen, dass es in der Tierwelt, in jetzt schon komplexeren Organsystemen mit einem Gehirn, das instinktiv intelligentes und relativ autonomes Handeln möglich macht, zu dämmern beginnt, dass es in der Menschenwelt zu erwachen beginnt und in manchen einzelnen Individuen vollständig zu seiner primären Einheit erwacht.

Mit diesem Erwachen zu seiner primären Einheit schließt sich sein Kreislauf und es kehrt zu seinem ewigen, allgegenwärtigen, ursprünglichen und geeinten Zustand zurück. Doch bis zu dieser Erlösung vom Joch seines sekundären Daseins in Formen und Strukturen, seien sie materieller, psychischer oder geistiger Art, müssen einige Hürden überwunden werden. Die Überwindung dieser Hürden geschieht durch den inneren oder spirituellen Kampf des Menschen.

Aufgrund der Komplexität des menschlichen Organismus mit seinen Organsystemen, seinem Nervensystem, seinen psychischen und geistigen Gegebenheiten, sind in ihm alle möglichen Zustände des sekundären Bewusstseins bis hin zu seinem vollständigen Erwachen möglich. Es kann in ihm schlafen, vegetieren, dämmern und träumen, kann reflektieren, sich selbst erkennen und schließlich zu seiner primären Einheit erwachen.

Ein Mensch kann sein gesamtes Leben zwischen den Stufen des Schlafens, des Vegetierens, des Dämmerns, des Träumens und eines meist kurzfristigen Reflektierens verbringen, ohne je sich selbst oder seine wahre Natur zu erkennen. Zwischen der Stufe des Reflektierens und der Stufe der Selbsterkenntnis liegt nämlich eine der größten Hürden auf dem Weg zu seinem Erwachen, weshalb wohl nur sehr wenige diesen mit bestimmten Anstrengungen verbundenen Weg gehen.

Das reflektierende Bewusstsein ist zwar das, was den Menschen vom Tier unterscheidet und ihm seine intellektuellen Fähigkeiten verleiht, aber solange es ihn nicht zur Erkenntnis seiner selbst führt, bleibt er auf den unteren Stufen der Entwicklung seines Bewusstseins als eine Art höheres Tier stehen, ohne sein wahres Menschsein, das mit seiner Selbsterkenntnis beginnt, zu erlangen. Er kann dann zwar von „Selbsterkenntnis“ träumen, indem er seine physischen, psychischen und intellektuellen Gegebenheiten reflektiert und beurteilt, er kann von „Religion“ träumen, indem er einen „Glauben“ annimmt, und hofft dadurch ins „Paradies“ oder ins „Himmelreich“ eigehen zu können, aber mit wirklicher Selbsterkenntnis oder wirklicher Religion hat das nichts zu tun.

Wahre Selbsterkenntnis und wahre Religion liegen sehr nahe beieinander. Um das zu verstehen, müssen wir zuerst verstehen, was wahre Selbsterkenntnis ist.

Unser Werkzeug, mit dem wir uns selbst erkennen können, ist das reflektierende Bewusstsein, das wir aber richtig gebrauchen müssen, um nicht auf der Stelle zu treten oder uns im Kreis zu drehen.

Gewöhnlich reflektieren wir Geschehnisse in unserer Umgebung sowie darin einbezogene Gegenstände, Lebewesen und Personen. Wir erspüren, verspüren, fühlen, reagieren, erwägen, urteilen, kalkulieren und klügeln usw. Kurz: wir machen uns unseren Reim daraus. Meistens machen wir uns diesen Reim vollkommen mechanisch. Wir reflektieren also lediglich die Geschehnisse und reagieren darauf. Dass dies keine Selbsterkenntnis sein kann, ist klar.

Wenn wir aber reflektieren, wie wir uns unseren Reim aus den Geschehnissen machen, indem wir unsere Reaktionen, unsere Emotionen, unsere Gefühle, Urteile und Gedanken reflektieren, dann erkennen wir zwar, wie wir funktionieren, und sind versucht dies als „Selbsterkenntnis“, zu bezeichnen. Dem ist aber auch nicht so. Denn wir sind weder unsere Reaktionen, unsere Emotionen, unsere Gefühle, unsere Urteile, noch sind wir unsere Gedanken.

Wir sind das reflektierende Bewusstsein selbst. Das heißt: in dem Moment, in dem sich unser reflektierendes Bewusstsein selbst reflektieret, erkennt es sich selbst. Es erkennt seine wahre Natur als Fragment seiner primären Einheit. In diesem Moment steht alles still: Gedanken, Emotionen und Gefühle stehen still. Nur formloses, ungebundenes, glückseliges Sein. Während sich die Welt weiterdreht, sind wir zur Nabe der Welt geworden, wir sind zum innersten Zentrum des Daseins vorgedrungen. Das ist wahre Selbsterkenntnis. Und nur in diesem Zustand der wahren Selbsterkenntnis öffnet sich für das sekundäre Bewusstsein die Tür zum primären Bewusstsein oder zum Urgrund. Deshalb gibt es ohne Selbsterkenntnis keine wirkliche Religion im Sinne von Rückverbindung zu unserem Urgrund; und deshalb liegen Selbsterkenntnis und Religion so nahe beieinander.

In dieser Art der Selbsterkenntnis ist alles begründet: Alles Heilende und Heilige, alle Selbstüberwindung, alle Freiheit, alle Glückseligkeit, alle Erlösung, alle Gnade, alle Unsterblichkeit, alles Göttliche und alles Gute. Es ist die religiöse Instanz, auf die wir uns verlassen können.

Das sekundäre Bewusstsein ist der bis tief in die Materie abgestiegene göttliche Funken, der alles belebt und beseelt, um am Ende wieder zu seinem primären Urgrund zurückzukehren. Es ist die treibende Kraft, welche die Materie zur Organisation bringt.

Aber was sind die Hürden, die das sekundäre Bewusstsein daran hindern, sich selbst zu reflektieren, und verhindern, dass diese Reflektion, wenn sie einmal stattgefunden hat, aufrechterhalten werden kann? Was sind die Hürden, gegen die sich unser innerer Kampf in diesem Fall richten muss?

Um dies zu beantworten, müssen wir als Erstes verstehen, dass wir zuerst ein gewisses Maß an freiem reflektierendem Bewusstsein besitzen müssen, damit eine Selbstreflektion des Bewusstseins überhaupt erst stattfinden kann.

Der Mensch ist im Unterschied zum Tier zwar mit einem gewissen Quantum an reflektierendem Bewusstsein ausgestattet, aber dieses Quantum wird von seinen physischen und psychischen Gegebenheiten meist vollständig absorbiert und durch innere oder äußere Konflikte vollständig aufgebraucht. Das heißt, er ist in seinem Leben, bemerkt oder unbemerkt, immer mit irgendwelchen Problemen, Befürchtungen und Bestrebungen beschäftigt, die sein reflektierendes Bewusstsein vollständig in Beschlag nehmen.

Hier sehen wir die erste Hürde, die überwunden werden muss. Wir müssen sozusagen unser Leid opfern, indem wir zum Beispiel für eine gewisse Zeit am Tag diesen ganzen Lebenswust mal beiseitelassen, mal nichts tun und uns auch mal nicht mit unseren Problemen, Wünschen und Ängsten beschäftigen.

Wenn wir auf diese Weise ein gewisses Maß an freies reflektierendes Bewusstsein erlangt haben, dann können wir diesen freien Teil nutzen und auf unser Innerstes fokussieren.

Die nächste Hürde wird dann die sein, dass wir das freie reflektierende Bewusstsein nur für kurze Momente fokussieren können, weil der Sog unserer „Probleme“ zu stark ist und den freien Teil unseres Bewusstseins auch schnell wieder bindet, sodass wir das Fokussieren unseres tiefsten Inneren vergessen und uns wieder im Strom der Emotionen, Gefühle und Gedanken verlieren.

Auf solche und andere zu überwindende Hürden werden wir in den folgenden und besonders in den letzten Kapiteln dieses Buches noch näher eingehen. Hier soll nur ein grober, richtungweisender Überblick geschaffen werden.

Jedenfalls gilt es hier auch noch zu verstehen, dass das aus der Ichhaftigkeit befreite sekundäre Bewusstsein, weil es formlos geworden ist, dem primären Bewusstsein gleicht. Und wenn es sich selbst erkennt, erkennt es auch das primäre Bewusstsein wieder als sich selbst. Oder anders ausgedrückt: Das Göttliche im Menschen erkennt sich selbst wieder.

Auszug aus Veerendra H. Bühner: Die ideologische Versklavung des Menschen und seine mögliche Freieheit.